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Christus, Dein Kreuz ...

Passionszeit. Da ich in den Wochen vor Ostern für meine Facebookseite unter der Überschrift "Christus, Dein Kreuz ..." Aufnahmen verschiedener Kreuzdarstellungen sammle, hat das Gedicht von Natalya Topolnyzka sofort meine Aufmerksamkeit. Ich speichere es ab, mit dem Ziel, mich übersetzend genauer damit zu befassen. Andere Pflichten und Sorgen drängen sich dazwischen. Doch als ich es nach einigen Tagen wieder hervorhole, wühlt es mich noch mehr auf, als beim ersten Hinsehen. Manche Gedichte sind in einfacher Sprache verfasst und lassen sich leicht lesen. Dieses Gedicht jedoch gehört zu denen, hinter deren Formulierungen noch mindestens eine weitere Ebene oder Tiefe hindurchschimmert. Da hältst du inne, spürst, da war doch noch etwas. Bei solchen Gedichten ist es umso wichtiger, sich beim Übersetzen ein ausführliches, einsprachiges Wörterbuch danebenzulegen, nach Möglichkeit alle Bedeutungen eines Begriffs abzutasten und nach schon bestehenden Redewendungen und ihrem Kontext zu suchen. Das bereitet mir unheimlich viel Freude. Ich darf so viel Neues dabei hinzulernen. Und trotzdem bleiben mir bei der Arbeit an gerade diesem Gedicht noch Stellen offen, von denen ich ahne, ich habe sie möglicherweise nicht verstanden. Welch ein Geschenk, die Autorin selbst fragen zu dürfen, wie sie das gemeint hat!

Und welch eine Freude, mit Natalya Topolnyzka persönlich in Kontakt zu treten! Ich hab ihr eine Menge Fragen zum Text gestellt und sie antwortet mir fast umgehend. Schon diese unkomplizerte, unbürokratische Umgangweise der ukrainischen Autoren beeindruckt mich immer wieder. Ich weiß doch, dass ihr Alltag bereits zu Friedenszeiten furchtbar anstrengend war. Und jetzt erst recht zermürbend ist!

Sie beschreibt mir ihr dichterisches Wirken. Allein, wie sie das tut, ist schon Poesie: "Guten Abend! Ich freue mich sehr darüber, dass Sie [...] meinen unaufhaltsamen Wunsch wertschätzen, diese Welt schöner, lebensechter und warmherziger zu gestalten und Liebe zu dem zu wecken, was wirklich Aufmerksamkeit verdient."

 

Ihre Beantwortung meiner Fragen habe ich im Folgenden weitgehend in den Text des Gedichtes eingearbeitet. Daher mag es dem Leser, der die Richtigkeit meiner Übersetzung mit einem Übersetzungsprogramm überprüfen möchte, möglicherweise etwas sehr frei übertragen vorkommen. Vielleicht kann dieser Umstand ja den einen oder die Andere dazu reizen, sich an den Reichtum der ukrainischen Sprache und ihre Schönheit heranzutasten. Es lohnt sich.

Zwei ihrer Erläuterungen reiche ich unter dem deutschen Text noch nach.

 

 

 

 

Greifbares gibt es und nicht Greifbares.

Der Heil´gen Gedanken und Schreie der Esel …

Doch man würdigt euch zu das Kreuz auf die Schultern,

Das nur Christus zu tragen vermochte!

 

Es gibt Verurteilung und bösen Leumund.

Den dunklen Moment durchsichtiger Morgen …

Schreie erschallen von überall her:

“Soll es dir wehtun, so wie es uns schmerzt!"

 

Echte gibt es und Unechte.

Gebeugte, schon lang zu Verlusten bestimmt …

Es singen dem Schicksal die frühen Hähne

Auf dem Pfad, den Pilatus gepflastert hat …

 

Natalya Topolnyzka

#Наталя_Топольницька

#ТижденьПоезії2025

20.03.2025

 

 

 

 

 

Zu den in der zweiten Strophe erwähnten Schreien erklärt sie: "Menschen sind grausam ... aber möglicherweise auch einfach schwach ... Im Augenblick schweren seelischen oder körperlichen Schmerzes wünschen sie häufig, das Gegenüber möge ebenso starken Schmerz empfinden, es erlebe ebenso die Erfahrung eines schweren Verlusts, der Krankheit, des Verrats oder des Todes ..." Ich finde es bemerkenswert, dass sie hier in keiner Weise in Worte fasst, dass der Gequälte im unerträglichen Schmerz dies ja gerade seinem Peiniger wünschen möchte, damit dieser mit seinen Untaten aufhöre. Nach elf Jahren mörderischem Krieg wäre es doch so verständlich, diesen Wunsch zu formulieren.

Zutiefst berühren mich in unserem Schriftwechsel ihre Worte: "Ja, hier gibt es einen Unterton: Euch, den Ukrainern wurde dieses Kreuz auferlegt, das nur Christus selbst bewältigen kann .... Und wie würdig ihr damit zurecht kommt!"

 

Als sie mir meine Frage nach den Hähnen beantwortet, höre ich durch ihre Zeilen hindurch regelrecht ihr perlendes, frühlingshaftes Lachen: "Natürlich, Hähne krähen normalerweise. Aber hier bei mir haben sie begonnen, zu tirilieren. ... Oder so ... Ich höre in ihrem Krähen ein Lied." Sie fügt hinzu: "Die ersten Blüten in meinem Garten am Aprikosenbaum sind für Sie!" und schickt mir dies Foto:

 

 

 

 

Бувають речі та неречі.

Думки святих і крик ослів…

А хтось поклав той хрест на плечі,

Котрий Христос нести зумів!

 

Буває осуд й пересуди.

Прозорих ранків темна мить…

Лунають крики звідусюди:

«Нехай тебе, як нас болить!»

 

Бувають справжні та несправжні.

Понурі, вмовлені до страт…

Співають долю півні ранні

На стежці, що мостив Пилат…

 

#Наталя_Топольницька

#ТижденьПоезії2025

20.3.2025

 

 

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