Mitglieder der Gesamtukrainischen Poetischen Familie beim Poetischen Brunch in Ternopil und Welykyj Chodatschkiv Ende November 2024
Ob ich denn nicht am 22.-24. November mit in Ternopil dabei sein möchte, wenn das nächste Dichtertreffen der Lyrikgruppe anstehe, mit der ich in Verbindung bin? So fragte mich im Oktober Nina Boyko, eine der Administratorinnen, mit der ich im Laufe des Jahres öfters hin und hergeschrieben habe, um Absprachen zu treffen für den geplanten, zweisprachigen Gedichtband mit aktuellen Gedichten seit Februar 2022. Jetzt, wo ich schon so viele Gedichte der Gruppenmitglieder übersetzt habe, würden sie mich gerne persönlich kennenlernen. Ich sei ganz herzlich eingeladen zum poetischen Brunch, zu dem Teilnehmer der Gruppe aus der ganzen Ukraine kommen werden, aus Mikolajiw wie aus Uzhhorod. Sie seien ganz froh, gleich zwei neue Anthologien vorstellen zu können, die die Dichter im zuende gehenden Jahr zusammen erarbeitet haben.
Wie sehr mir diese Einladung schmeichelte! Sie hatten es mir ja lange im Vorfeld angekündigt, dass sie für das letzte Novemberwochenende eine Zusammenkunft planten. Ich hätte mir also im Vorlauf schon längst ein Ticket nach Ternopil besorgen können, das langfristig gebucht sicher nicht teuer gewesen wäre. Die letzten solchen Veranstaltungen hatte ich im Internet beobachtet, es gab Liveübertragungen davon. Daher wusste ich auch, es wird sich nicht einfach nur um einen Brunch handeln. Nein, es wird ein richtiges Fest, mit Publikum, Musikern, mehrere Tage lang.
Aber ich bin leider ein entsetzlicher Angsthase. Die Erfahrung unseres ersten Spätherbstes in Kyjiw, wo erst im November die Heizung in der Wohnung verfügbar war, damals 2009, in Friedenszeiten, hatte mich gelehrt, was Frieren heißt. Ich habe keine Ahnung, wie die Ukrainer es schaffen, der Kälte zu trotzen, und dennoch fröhlich zu sein. Aber allein schon die Vorstellung, eventuell ohne Heizung auskommen zu müssen, schreckte mich ab. Von allen anderen Dingen, die im November 2024 passieren hätten können, ganz zu schweigen. Sehr schade eigentlich, denn diese meine Angst hat mich um spannende und wertvolle Begegnungen gebracht.
Beim Poetischen Brunch nahmen sich die Dichter und Dichterinnen Zeit, einander und der Öffentlichkeit außer den gemeinsamen Anthologien auch ihre jüngsten persönlichen Veröffentlichungen vorzustellen.
Nach den Tagen in Ternopil berichten die Dichterinnen begeistert auf ihren Facebookseiten davon, wie inspirierend, und vor allem, wie warm das Treffen mit Kolleginnen und Kollegen aus der gesamten Ukraine war. Ich finde immer noch neue Fotos und Videoreportagen davon. Für mich bedeutet es ein besonderes Glück, die Dichterkolleginnen beim Vortragen ihrer Gedichte zu belauschen. Auf eine von ihnen war ich erst kürzlich aufmerksam geworden: Nadiya Starenka, Krankenschwester aus dem Oblast Kyjiw hatte bei einem der gemeinsamem Literaturwettbewerbe ("Das beste Gedicht der Woche") den ersten Preis gewonnen. Die hochgewachsene, mütterlich-herzliche Frau mit dem praktischen, blonden Kurzhaarschnitt in der Übertragung live zu erleben war toll. In letzter Zeit steuert sie der Gruppe öfters Gedichte bei.
Ehe die Nachwehen des Herbstes verklingen, gebe ich Euch eines ihrer neuen Gedichte weiter. Kennt man den ukrainischen Stadtverkehr mit Trolleybussen, so ist es ein regelrechtes Kopfkino. In ihre Zeilen spielt mit herein, dass das ukrainische Wort für den Herbst weiblich ist.
Die Stadt empfängt dich mit ihrer Stimme -
Schwerfällig krächzend, als flüstere sie.
Und ihre Schatten tanzen auf Umwegen
Als Echo dem seltsamen Schmerzensschrei …
Die Stadt nimmt in Empfang den Herbst -
Als Lady gekleidet und mit einem Koffer,
Schon unumgänglich, sorgfältig, pünktlich,
Die Herbstdame hat einen Pass mit Visum.
Die Stadt nickt überzeugt zum Gruß,
Wickelt fest in den Schal die Parks
Als Blüten des Baumes sieht man im Traume
Schneeweiße Häubchen und feine Mützchen.
Die Stadt empfängt dich - in Stille.
Bedeckt alles mit weißer Decke.
Mit Sternen, wie wiederklingenden Liedern,
Und mit dem gelben Korbe des Mondes.
Nadiya Starenka
26.11.2024
Місто стрічає голосом -
Скрипом, неначе шепітом.
Тіні танцюють осторонь
Відгуком в дивнім лементі...
Місто стрічає осінню -
Вдягнену і з валізою,
Вже неодмінно з точністю
В пані є паспорт з візою.
Місто киває впевнено,
Кутає шаликом парки...
Квітом насниться дереву
Снігу білесенькі шапки.
Місто зустріне - тишею.
Білою вкриє ковдрою.
Зорями, мов співанками,
Місяця жовтим ковшиком.
26.11.2024
Надія Старенька
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