Vergangenen Montag, unterwegs von Marktleuthen zu einem Termin im Frankenwald, las ich im Zug im Internet bei meiner ukrainischen Lyrikgruppe ein Gedicht, das mich mit seinen Waldbildern sofort in seinen Bann zog. Und das lag nicht am durchfahrenen, viel zu dicht gepflanzen, hochfränkischen Fichtenwald, der mir in meiner Kindheit oft wegen der verworrenen, abgestorbenen Zweige als Hexenwald erschien: Mutter hatte uns auf unseren Sonntagsspaziergängen häufig Grimms Märchen erzählt, um uns bei Stimmung zu halten.
Nein, mich erinnerten die Verse spontan an die Erlebnisse vieler Ukrainer seit 2014, die im Gespräch mit Verwandten aus Russland sofort von diesen unterbrochen und überschrieen wurden, wenn sie von ihren Erfahrungen auf dem Maidan und mit mit dem beginnenden Krieg erzählen wollten. Jahrelange Berieselung mit Propaganda hatte schon damals das Ihre getan, um einen mörderischen Krieg unabwendbar vorzubereiten.
Foto: Tamila Litvischko
"Kann man den Menschen wirklich vertrauen?" fragt sich die ukrainische Dichterin Tamila Litvischko. Sie ist Ökologin und stammt aus Tscherkassy, wo sie mit ihrer Tochter lebt. In ihrer Kindheit und Jugend hat sie mit Begeisterung gestickt. In ihrem eigentlichen Beruf konnte sie bislang leider nur wenig Erfahrung sammeln, denn es gilt, ihre Tochter zu ernähren und großzuziehen. Den Lebensunterhalt für sie beide verdient sie als Aufseherin in einem Männergefängnis.
Zusammen mit ihrer Tochter, die erfolgreich in einer Mädchenakrobatikgruppe auftritt, kümmert sie sich außerdem um herrenlose Tiere. Gedichte schreibt sie seit 2014. Viele davon hat sie ihren Freunden gewidmet, die das Land an der Front verteidigen.
Foto: T. Litvischko
Mit ihrem feinen Gespür für Menschen und deren Absichten leidet sie sehr darunter, zu fühlen, wenn ihr jemand etwas vorspiegelt. Erfahrungen mit Ihren Zeitgenossen verarbeitet sie in folgenden Zeilen:
Die fremde Seel´- so sagen sie - ist wie ein finstrer Wald,
Ein jeder Laut wird dort vom Schweigen abgedämpft.
Du meinst, du sehest das, was sie enthält,
Doch nimmt der Nebel alles tiefer in sich auf.
Gehen kannst du, doch in die Irre nur führt undurchdacht der Weg,
Denn jeder Pfad - er ist ein grenzenloses Labyrinth.
Fortuna eines Fremden ist ein Meer der Träume, Grenzen,
Wo Licht in unerforschten Schatten untergeht.
Nicht weißt du, ob dort wirklich Träume wohnen
Oder die schwarze Finsternis gebrochen bis zum Rand des Schmerzes.
Dort führen alle Wege in die Dunkelheit,
Und jedes Blatt verbirgt des Schicksals Wahrheit.
Du siehst dort zwischen Bäumen zerschlag´ne Wunschbilder und Träume,
Verschlungen in den Zweigen, bittere Erkenntnis:
Die fremde Seele - ach, das sind weite Felder,
Wo Traurigkeit und Freude in Leidensfähigkeit verflochten.
Und such in diesem Wald auch weiter keine Wege,
Denn jeder Schatten ist ein ewiges Geheimnis.
Und jeder Schritt führt in Chimärenwelten,
Wo Wahrheit sich verbirgt in den Gesichtern.
Tamila Litvischko
16.09.2024
Чужа душа
Чужа душа — то, кажуть, темний ліс,
Там кожен звук мовчанням огортає.
Ти думаєш, що бачиш її зміст,
Але туман все глибше поглинає.
Ти можеш йти, та навмання лише,
Бо кожна стежка — лабіринт безкрайній.
Чужа фортуна — море мрій і меж,
Де тоне світ у тінях непізнанних.
Не знаєш ти чи мрії там живуть,
Чи чорний морок зламаний до болю.
Там всі шляхи у темряву ведуть,
І кожен лист ховає правди долю.
Там між дерев — розбиті мари й сни,
Заплутані в гілках гіркі прозріння.
Чужа душа — безкрайнії лани,
Де сум і радість вплетені в терпіння.
Тож не шукай у лісі цім стежин,
Бо кожна тінь — то вічна таємниця.
І кожен крок веде у світ химер,
Де істина ховається в обличчях.
Літвішко Таміла
16.09.2024
Natürlich kam mir beim Lesen des Gedichts auch mein eigenes Gedicht wieder in den Sinn, das ich im Sommer verfasst habe. Meine Situation ist leichter, meine Gedanken zu Menschen, die mir nahestehen, also leichtfüßiger. Ergänzend zum Schluss noch meine eigenen Verse:
Alle Waldfotos: Wald bei Herzberg (Mark)
Du bist mein Märchen,
Du bist mein Traum,
Verursachst Gedanken,
Nicht schwerer, als Flaum.
Du bist mein Hirngespinst
Am Wahrheitssaum.
Dinge, die Du beginnst,
Schaffen sich Raum.
Aus einem Samenkorn
Entsprießt ein Baum.
Greif ich nach diesem,
Zerfällt er, wie Schaum.
Du bist mein Märchen,
Du bist mein Traum,
Wenn ich erwache,
Kenn´ ich Dich kaum.
CH, 25.07.2024
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