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Wirklich das, was wir sehen?

Wegsehen möchte man am liebsten von den immer neuen, schrecklichen Angriffen, mit denen Russland versucht, die Ukraine zu zerstören. Heute erwachte ich viel zu früh. Es war noch dunkel. Auch nach einigen Gymnastikübungen konnte ich nicht wieder einschlafen. Schließlich griff ich doch zum Handy, um zu sehen, was meine ukrainischen Freunde berichten. Die Predigt von Pavlo Schwarz, Bischof der Deutschen Evangelisch-Lutherischen Kirche zum barmherzigen Samariter ging mir unter die Haut. Mir schien, sie sei für uns geschrieben, die wir nicht, wie seine Gemeindeglieder in Kellern und U-Bahnhöfen Schutz suchen müssen. Von denen, die nichts sehen, nichts hören und nichts sagen, schreibt er da. Von denen, die dem Opfer einreden, man müsse doch seinem Feind vergeben. Von den Geistlichen, denen ihr Dienst wichtiger ist, als die unmittelbare Hinwendung zu dem, der akut und dringend Hilfe braucht. "Ist es denn heute nicht mehr Christenpflicht, seinen Nächsten zu sehen und ihm in Not zu helfen?" fragt er.

Die Autoren und Autorinnen der ukrainischen Lyrikgruppe, von der ich hier schon öfter erzählte, lassen ihr Entsetzen über den Angriff auf Poltawa und Lwiv durchhören.

Eine Administratorin entschuldigte sich gestern dafür, dass die elektronischen Urkunden für den kürzlich erfolgten Gedichte-Flashmob anlässlich des Unabhängigkeitstages mit Verspätung gepostet werden: Stromausfälle und weitere Schwierigkeiten haben eine zügige Bearbeitung gebremst. Dabei haben, so schreibt sie, die Autoren einander selbst überboten. Eine schwierige Aufgabe war zu bewältigen: Die Teilnehmer sollten ein Akronym zum Festtagsgruß zum Unabhängigkeitstag schreiben, und das binnen weniger Tage.

"Leider" so schreibt sie "haben die tragischen Ereignisse der letzten Tege - eines folgte dem anderen - uns erschwert, den Teilnehmern zu gratulieren. Aber heute sind wir umso mehr davon überzeugt, dass wir leben und und gemeinsam für unsere Freiheit und Unabhängigkeit einstehen werden. Denn das ukrainische Wort, mitgerechnet auch das poetische, erschallt hörbar und überzeugt, sodass die ganze Welt es hört und schließlich aufwacht."

Ach, die Gedichtegruppe hat in all den Wochen keine Pause eingelegt, im Gegenteil! Und wie viele großartige Ideen im Umlauf sind, einander schöpferisch Gestaltungsimpulse zu geben ...

Da ist zum Beispiel seit Januar 2024 die Initiative "Das beste Gedicht der Woche". Anfangs kürte eine kleine Jury die Gewinner, doch inzwischen übernimmt diese Pflicht der Gewinner der Woche. Der im Übrigen seit kurzem auch das Thema für die nächste Woche vorgibt. So rief neulich Iryna Kalina dazu auf, Gedichte über die Liebe zwischen Eltern und Kind zu verfassen.

 

Mit einer genialen Idee wartet in der laufenden Woche die Möwe vom Weißensee auf. Unter diesem Pseudonym schreibt die begnadete Dichterin Maryna Sosulya, die im Charkiwer Gebiet lebt. Erstmalig sollen die Teilnehmer Beiträge einsenden, die von ihr in der Gruppe mit einer Nummer und einer Maske veröffentlicht werden. Denn es geht um einen Maskenball im venezianischen Stil!

Bald ist Einsendeschluss. Im Verlauf der 33. Kalenderwoche sind über fünfzig Einsendungen gekommen, hinreißende Gedichte. Alle Gruppenmitglieder dürfen raten, wer jeweils das Gedicht beigesteuert hat.

Aufregend, bei inzwischen über 20 000 Gruppenmitgliedern, von denen allerdings viele nur mitlesen!

Um Euch wenigstens eine Kostprobe zu geben, habe ich ein recht kurzes, leicht zu übersetzendes Gedicht ausgewählt:

 

Aber ich bin heute die Maske

 

Aber ich bin heute die Maske.

Verborgen hab ich mein Gesicht.

Für euch ist das alles ein Märchen.

Des Schicksals Aufschrei für mich!

 

Ob du mich kannst trotzdem erkennen?

Meine Hand, sie zittert in deiner.

Dein Parfüm bringt mich ganz durcheinander,

Dass das Herz mir schon schlägt, wie wild.



Oh, deine zärtlichen Hände

Unter allen erkenne ich sie.

Von neuem bin ich ganz verzaubert 

Von Deinem Lachen, hell wie ein Glöckchen.



Dein Gesicht in der Maske verborgen, 

Hinter der Maske auch meins.

Und das Herz spricht: „Sieh dein Glück doch!

Es ist bei dir längst, schon ganz nah.“

Maske Nr. #33






#ВПР_33_поезія

 

-- А я сьогодні Маска

 

-- А я сьогодні Маска.

Сховала я свій лик.

Для вас -- усе це казка.

Для мене -- долі крик!

 

Чи ти мене пізнаєш?

Рука тремтить в твоїй.

Парфум твій так бентежить,

Що й серце дає збій.

 

-- Твої я ніжні руки

Пізнаю серед всіх.

Мене знов зачарує

Дзвіночок -- милий сміх.

 

Твоє лице у масці.

У масці і моє.

Та серце каже: "Щастя

Вже біля тебе є."

 

Маска #33

 

Ich bin schon gespannt, wer hinter welchem Gedicht steckt!

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