Gestern früh entdeckte ich einen neuen Blogeintrag des Schriftstellers Witaliy Sapeka. Dass er sich in den ersten Kriegsjahren als Freiwilliger an die Front begeben hatte, davon hatte ich an anderer Stelle im Blog bereits berichtet. In den Schützengräben sind mehrere seiner Bücher entstanden, eines davon (Бабах на всю голову) ist erst kürzlich erschienen und beschreibt den Krieg aus der Perspektive eines älteren Menschen.
Ich freue mich, dass Sapeka, von Beruf eigentlich Fotograf, inzwischen anerkannter und gefeierter Schriftsteller ist: Für seinen Roman "Polinka" wurde er - aus meiner Sicht absolut verdient - vor einigen Wochen mit dem Nestaijko-Preis ausgezeichnet.
Hatte er mit einem seiner ersten Romane noch hintersinnig- humorvoll die Unorganisiertheit der ukrainischen Abwehr kritisiert, so merkte er einige Zeit nach Beginn des umfassenden Angriffskrieges an, die Zustände haben sich doch sehr gebessert. Seit längerer Zeit dient er nun schon in gehobener Position. Diese Aufgabe versieht er mit großer Liebe zu seinem Heimatland und dessen Menschen. Zwischendurch findet man auf seiner Facebookseite Einträge, in denen er voller Hochachtung und nicht ohne Witz einige der Soldaten portraitiert.
Genug der Vorrede, denn ich möchte seinen gestrigen Post aus dem Felde wiedergeben. Da ich - im Augenblick auf Lapplandurlaub - nur ein Haus aus roten Ziegeln gefunden habe, müsst Ihr Euch die Häuser mit weißen Ziegeln selbst vorstellen.
"Marjinka.
Die Stadt wurde mit weißen Ziegeln erbaut. Eine helle Stadt. Nur sind leider die Gebäude so zerstört, dass etwas, wovon noch kleine Teile ganz erhalten sind, sehr merkwürdig anmutet. So, dass man es nicht verstehen kann. Der Sonnenaufgang hinter Marjinka. Die Morgenröte erstrahlte heute purpurfarben über Weißem. Ich erblickte, wie eine Apokalypse aussieht ..."
Seine Facebookfreunde kommentierten, er solle bloß auf sich aufpassen. Von Gott behütet bleiben. So schrieb auch ich einen Gruß dazu. Dann sah ich: Kurz davor hatte jemand mit einem Screenshot des Wikipedia-Eintrags über die Stadt Marjinka kommentiert. Darin war bereits alles in der Vergangenheitsform beschrieben. Der Text endete mit "Die Stadt wurde durch die russische Armee völlig ausgelöscht."
Im Lauf des Tages und bis heute fand ich im Netz immer häufiger das Foto eines ukrainischen Soldaten mit einer Zigarette im Mund und einem Spaten in der Hand.
Ich konnte es zunächst inhaltlich nicht einordnen. Ziemlich sofort kursierten auch meisterhafte Zeichnungen der Situation im Netz. Inzwischen weiß ich, dass es sich bei dem jungen Mann um Timofiy Mikolajewitsch Schadura handelt, der als vermisst galt. In den letzten Tagen war ein Video online gegangen, gedreht vom russischen Militär, in dem dokumentiert ist, wie er als Kriegsgefangener sein eigenes Grab schaufeln muss, einen Zug aus seiher letzten Zigarette nimmt und unter Verwünschungen durch russische Soldaten - und dennoch mit dem Gruß "Слава Україні!" (Ehre der Ukraine!) auf den Lippen - durch zahlreiche Schüsse hingerichtet wird.
Es hat nur wenige Stunden gedauert, bis mehrere Gedichte verschiedener ukrainischer Autoren über ihn im Netz erschienen.
Was wollen die Russen mit der Zurschaustellung ihrer eigenen grausamen Kriegsverbrechen, ihrer völligen Verrohung erreichen? Wollen sie noch mehr gehasst werden?