"Es war ein Feiertag und Wochenende. Man musste damit rechnen, dass in den meisten Wohnungen die Familien gerade zuhause warten." sagt mir Olena und ich höre die Trauer in ihrer Stimme. Ihre Töchter und Enkelkinder sind nach wie vor in Dnipro. Zum Glück in einem anderen Stadtteil. Ich habe Svitlanas Worte aus den ersten Kriegswochen noch im Ohr, als ich sie nach einer Explosion in ihrem Heimatort fragte, ob ihre Familie in Sicherheit sei: "Ja, Gott sei Dank sind meine Kinder und Enkel in Sicherheit. Aber ich habe jetzt eine sehr große Familie ..."
Dnipro - das ist nicht einfach irgendwo. Weil die Ukrainer seit Februar 2022 als große Familie noch enger zusammengewachsen sind, trifft jeder solche Angriff sie ins Herz.
Die Dichterin Anna Stoeva-Kolisnichenko fasst die schreckliche Begebenheit noch am selben Tag in ein Gedicht:
Ein schwarzer Tag. Dnipro
Es sind schwere Minuten heute,
Für jemanden leider die letzten.
Wir haben Stunden gezählt,
Doch für jemand ist´s Kummer und Leid.
Dnipro. Und ein Wohngebäude.
Ein besonderer Feiertag.
Wie rechtfertigt man so ein Verbrechen?
Ein frohes Lied gibt es nicht mehr.
Kann sein, dass jemandes Kindlein
einen heiteren Traum hat geträumt,
Papas Heimkehr hat jemand erwartet,
Andenken bleiben nun bloß.
Mag sein, dass jemandes Familie
um den Tisch sich gesammelt hatt´,
niederging die verfluchte Rakete
und der Tag wurd´ zum schwarzen Tag.
Wann endlich nehmen die Teufel
dies Miststück nur zu sich auf?
Und in Gänze die Satane mögen
zerreißen in Fetzen ihn dann.
14.01.2023 Anna Stoewa-Kolisnichenko
Anna Stoewa-Kolisnichenko lebt in Bilgorod-Dnistrowskiy im Bezirk Odesa und arbeitet dort als Touristenführerin in einer der größten Festungen Europas, der Festung Akkerman. Sie veranstaltet auch Konzerte. Gedichte schreibt sie schon seit ihrer Kindheit und zwar sowohl in russischer als auch in ukrainischer Sprache. Seit Kriegsbeginn benutzt sie das Russischee allerdings ungern, im Wesentlichen eigentlich nur noch im Gespräch mit Bekannten aus dem Ausland, die des Ukrainischen nicht mächtig sind. Leider ist es ihre Erfahrung, dass die wenigsten Ausländer Ukrainisch sprechen. Daher ist sie recht froh zu hören, dass ich mich darum bemühe, ihre Muttersprache konsequent weiterzulernen.
Für ihre Lyrik wurde sie bereits mehrfach ausgezeichnet, sogar mit dem 1. Preis bei Wettbewerben 2021 in Paris und in Prag und bei ukraineweiten Wettbewerben. Sie
träumt davon, einen eigenen Gedichtband herauszugeben. Als wichtigste Auszeichnung allerdings empfindet sie es, wenn ihre Gedichte anderen Menschen und Lesern aus anderen Ländern
gefallen.
Чорне число. Дніпро
Важкі сьогодні хвилини,
Для когось останні нажаль.
Ми рахували години,
А в когось горе й печаль.
Дніпро. Житловий будинок.
Незвичайний святковий день.
Як виправдати цей вчинок?
Веселих не буде пісень.
Можливо чиєсь дитятко
Яскраві дивилося сни,
А хтось чекав вдома татка,
Лишились тепер спомини.
Чиясь можливо родина
Зібралася за столом.
І впала ота "блядИна"
І день став чорним числом.
Коли вже оту скотину
До себе чорти заберуть?
І всю його сатанИну
Нехай на шматки роздеруть.
14.01.2023 Анна Стоєва
Ukrainer sind immer sehr flink im Erstellen von Memes und Bildbearbeitungen. Dieses Bild kursierte bereits wenige Stunden nach dem Raketeneinschlag im Netz.
Unter dem Eindruck eines Videos, das Rettungskräfte zwischen den Trümmern des Hochhauses in Dnipro bei der Suche nach Verletzten zeigt, strömen gleichzeitig Tränen und Verse der Dichterin Natalia Kushnir. "Eine tiefe Verbeugung vor allen Rettungskräften, all denen, die nicht gleichgültig sind, die suchen und retten, ohne auf sich selbst Rücksicht zu nehmen …" schreibt sie - und fügt folgendes Gedicht bei:
Oh, schreit … wir hören euch … wir hören …
Auf keinen Fall fangt jetzt zu schweigen an …
Wir dringen durch zu euch … wir retten euch …
Schreit … ach, dass ihr bloß nicht schweigt!
Ihr seid zu hören … haltet jetzt bloß durch …
Gebt uns ein Zeichen … wir beeilen uns …
Haltet nur aus … noch den Moment … noch ein Minütchen nur ..
Des Tod´s Umarmung lassen wir euch nicht!
Es schluchzt … es weint die Ukraine …
Es stöhnt das schwergetroffne Dnipro …
Ach wenn wir nur noch einen Menschen retten könnten …
Oh, haltet aus … wir sind schon auf dem Weg!
Natalia Kuschnir, 15.01.2023
Und auch mir zieht sich beim Lesen vor Ergriffenheit dass Herz zusammen. Innerlich schreie ich nach Leoparden - und das Zögern in höchsten deutschen Regierungskreisen steht meiner Ansicht nach in krassem Gegensatz zu den Menschen, die dort im qualmenden Schutt ihr Leben einsetzen, um wenigstens einige der zu Schaden Gekommenen aus den Trümmern zu befreien. "Haltet aus!" Mit dem, was ihnen zur Verfügung steht, leisten sie Übermenschliches, während man in der Ferne in der trügerischen Illusion, sich heraushalten zu können, das zurückhält, mit dem man weiteren Mernschen- und Völkerrechtsverletzungen die Stirn bieten könnte.
Natalia Kushnir lebt in Ternopil, wo sie als Pharmazeutin arbeitet. Erst im Sommer 2021 hat sie begonnen, Gedichte zu schreiben. Eines frühen Morgens am Arbeitsplatz formten sich auf einmal ihre Gedanken zu Versen, für sie war das wie ein Schock - und zugleich ein Wunder. Sie betrachtet es als Gottes Geschenk an sie. Sie staunt über Erlebnisse wie diese: Als sie in der Zeitung liest, dass sich unter den Trümmern des Theaters von Mariupol noch Überlebende finden, überwältigen sie ihre Gefühle und formen sich zu einem Gedicht, das im Internet umgehend mit hunderten von "Gefällt mir"- Angaben honoriert wird. "Ich kann also aus eigenem Erleben bestätigen, dass es wirklich Wunder gibt." schreibt sie mir. "Damals habe ich begriffen, dass Dichten mein Auftrag ist, mein Beitrag zum Sieg der Ukraine."
Низький уклін всім рятувальникам, всім небайдужим людям, які не жаліючи себе шукають....рятують....
Кричіть...ми чуєм вас...ми чуєм...
Ви тільки зараз не мовчіть...
Ми вас дістанем...ми врятуєм...
Кричіть...лиш тільки не мовчіть!
Вас чути...ви тримайтесь тільки...
Подайте знак...ми спішимо...
Лиш потерпіть...ще мить...ще хвильку...
В обійми смерті не дамо!
Ридає...плаче Україна...
Стогне скалічений Дніпро...
Спасти б ще хоч одну людину...
Тримайтесь...ми уже йдемо!
15.01.2023
Наталя Кушнір.
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