Nur ein paar Gedanken möchte ich niederschreiben, Ihr habt es ja gemerkt, dass der Krieg mich sprachlos macht. Wir hatten im Sommer für knapp drei Monate einen jungen Hausgast aus der Ukraine. Ein Mädchen, dass wir aus unserer Kyjiwer Zeit kannten. Sie hat sich entschieden, am 8. September in die Heimatstadt zurückzukehren und ist dort geblieben.
Als am 10. Oktober die Raketenangriffe auf die ganze Ukraine wieder einsetzten, zeigte eine meiner Freundinnen auf Facebook ein Foto, das mir auf den ersten Blick wie eine Baustelle vorkam. Von Kratern durchwühltees Gelände. Sie schrieb dazu: "Das ist der Spielplatz meiner Kinder. Genau dort verbrachten sie ihre Kindheit. Mir gefällt dieses Zitat des Verteidigungsministeriums der russischen Föderation: <Die Trefferziele in der Ukraine sind erreicht.>"
Im Lauf des Tages fand ich dann Bilder der Zerstörung rund um den Komplex des Hauptgebäudes der Schewtschenko- Universität. Auch da war bei mir der Groschen noch nicht gefallen. Ich nahm Kontakt mit einer anderen Kyjiwer Freundin auf, die als Flüchtling von Deutschland aus innigen Kontakt mit ihren Freunden und Kollegen an der Kyjiwer Universität hält. Sie konnte mir schnell mitteilen, dass die Uni sofort zu Onlinevorlesungen übergegangen sei. Sie schickte mir aktuelle Fotos mit zersplitterten Fenstern, brennenden Autos und einem völlig verwüsteten Feld. Ein Feld, wie ich dachte.
Und Videos aus den Kyjiwer U-Bahnschächten. Dicht gedräng saßen da Massen von Leuten auf den Rolltreppen, jung und alt. Und sangen. Ukrainische Volkslieder, voller Optimismus, voller Innigkeit. "Das ist heute in der Metro." schrieb sie mir.
Dieses Volk ist ungebrochen.
Erst am nächsten Tag, als ich weitere Fotos des verwüsteten Feldes sah, dämmerte mir: Das war der Spielplatz, auf dem auch ich öfters mit meinen eigenen Kindern war. Ganz häufig mit meiner kleinen Tochter, die dort mit Mitschülerinnen verabredet war. War das ein schöner, aufwändig gestalteter Spielplatz! Ein Vorzeigeobjekt. In der gleichen Parklanlage gab es eine Ecke mit etlichen überdachten Tischen, wo die Männer sich zum Schachspielen trafen. Es war so viel Atmosphäre und Leichtigkeit dort. Kiosks, wo man sich französische Crèpes ausbacken lassen oder das unvergleichliche, ukrainische Eis kaufen konnte. Um die Ecke war eine Abteilung der Poliklinik, wo ich öfters mit unseren Kindern Ärzte konsultierte.
Heute hat die Tochter meiner Freundin, eines meiner ehemaligen Kindergottesdienstkinder, ein Foto auf Instagram veröffentlicht, wo Kinder auf genau diesem zerstörten Spielplatz spielen. Jemand hat einen Behelfsweg aus zerbrochenen Steinplatten in den Raketentrichter gelget. Ein kleines Kind mit gelbem Anorak und einer hellblauen Wollmütze läuft mit einem hoch in die Luft ragenden Aststück hindurch. Eltern im Hintergrund an zwei noch stehenden oder wieder aufgerichtetzen Spielgerüsten.
Mein Schriftstellerkollege Witaliy Sapeka, der bereits im März davon berichtet hatte, wie er an der Front den Bauern beobachtete, der unbeirrt unter fliegenden Raketen mit dem Traktor den Acker zur Aussaat vorbereitete, schrieb vor ein paar Tagen erneut davon, wie fleißig und unbeirrt die Bauern trotz der Angriffe auf ihren Feldern arbeiten.
Eine weitere Freundin stellte heute ein Bild auf FB, mit einem weißen Kreuz aus Chemtrails vor hellblauem Himmel. Sie schrieb nur eine Bitte dazu: "Bitte bedeckt den Himmel mit Euren Gebeten." Sie benutzt dazu die gleichen Worte, die uns seit den ersten Kriegstagen immer wieder erreichen und die eine Flugverbotszone über der Ukraine fordern: "Verschließt den Himmel!"
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