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Österliche Kraft

Das Osterfest bedeutet den Ukrainern sehr viel. Gerne erinnere ich mich daran, mit welch freudiger Ausstrahlung man uns in Kyjiv,  in der Wuliza Lyuteranska (Lutherstraße) auch in den Wochen nach dem orthodoxen Osterfest mit "Christus ist auferstanden!" grüßte. Auf diesen Ostergruß wird normalerweise mit "Er ist wahrhaftig auferstanden!" geantwortet. Und das hörte ich, als wir in den Jahren 2009 bis 2015 dort wohnten, durchaus auch aus dem Mund von überzeugten Atheisten. Die dem Fest vorausgehende Fastenzeit wurde sehr streng eingehalten. Vor allem verzichteten die Menschen auf Fleisch, oft auch auf Fisch. Die Schnellrestaurants, wo viele in ihrer Mittagspause ein flinkes, kostengünstiges Mittagessen nach traditionellen Rezepten einnahmen, boten in der Fastenzeit eine um spezielle Fastengerichte erweiterte Speisekarte an.

Im Jahr 2022 gab es für die Fastenzeit in der Ukraine eine Empfehlung der orthodoxen Kirche, genau abzuwägen, was man an Nahrung zu sich nimmt. Denn ein strenges Einhalten der Fastenregeln könne bei kriegsbedingten Lieferengpässen von Lebensmitteln zur Entkräftung führen.

Die Osternacht mit der selbstverständlich im Stehen gefeierten, stundenlangen Liturgie ist ein großer Höhepunkt. Selbstverständlich geht man nüchtern hin, damit dem Empfang des Heiligen Abendmahles nichts entgegensteht. Viele Menschen bringen zu den Ostergottesdiensten Körbe mit Ostereiern und Osterkuchen mit, die sie dort vom Geistlichen segnen lassen.

Foto: Ruine der Wallfahrtkirche St. Katharina,

Wunsiedel im Fichtelgebige

Am Karfreitag steht Odessa wieder unter Beschuss. Natalya Leonowa erzählt mir am Abend auf mein Nachfragen hin, dass ihre Schwiegertochter gerade auf dem großen Markt war, als die Raketen dort flogen. Mit der Menschenmenge rannte die junge Frau, um sich in eine Unterführung zu flüchten, wo schon jede Menge Leute Schutz gesucht hatten, darunter auch viele Kinder. Am Karsamstag wird Natalya mir Videoaufnahmen einer Wohnung (zum Glück nicht ihrer eigenen) dort in der Nähe schicken, wo die eindringende Druckwelle alles erschüttert. Welch ein Karfreitag!

 

Unter diesen Eindrücken verfasst sie folgendes Gedicht:

 

 

Ich vertraue auf Dich,

Liebe Heilige Mutter!

Die Ukraine bewahre uns,

Die Dörfer und die Städte.

 

Bewahr die Väter und Mütter,

den Bruder und die Schwester.

Bewahr uns Erde und Himmel,

Die friedensbringende Hostie.

 

Ich hoffe auf dich,

Liebe Heilige Mutter!

Bewahr uns in unseren Seelen

Uns´ren Glauben an Christus!



Я на тебе уповаю, 

Матінко Свята! 

Збережи нам Україну. 

Села і міста. 


Батька збережи і матір. 

Брата і сестру. 

Землю збережи і небо, 


Мирну просфору. 


Я на тебе уповаю

Матінко Свята! 

Збережи у душах наших

Віру во Христа!


Леонова Наталя

22.4.22

 

Für Odessa wird es kein ruhiges Osterfest. In der Nacht zum Ostersonntag muss wegen der russischen Angriffe eine Ausgangssperre verhängt werden. Die Osternacht gibt es nur online. Der Feind, der sich in Moskau mit frommem Gesichtsausdruck während der Liturgie in Glanz und Gloria filmen lässt, gönnt den Gläubigen in der südlichen Ukraine keinen geistlichen Zuspruch und verwehrt ihnen den Zugang zum Abendmahl.

Foto: Blick aus dem Kirchenschiff

St. Katharina, Wunsiedel

Am Ostersonntag verleiht Anja Kutsyn ihrem Schmerz, aber auch ihrer Zuversicht in zwei Gedichten Ausdruck.

Das Wort "Beunruhigung" kann auch mit "Luftalarm" wiedergegeben werden.

 

Traurig war dieser Monat April,

Heran kam das große Fest,-

Hell und rein, unser Ostertag …

Aber bei uns sind Tränen, so viele …

In Teile, in Teile hat man uns zersprengt,

Ohne Gott zu fürchten,

Die Landstriche unseres Landes

die Feinde …

Beunruhigung …

 

Anja Kutsyn, 24.4.2022

 

#вірші_війни

Сумний був той місяць квітень.

Йшло велике свято,-

Світлий, чистий наш Великдень...

А в нас сліз багато...

Розривали на частини

Не боячись Бога,

Землі нашої країни

                                    вороги...

Тривога…

Аня Куцін 24.4.22

 

Die Hoffnung auf Licht verlischt bei uns nicht

wenn grausam das Böse wütet.

Uns segnet Gott selbst,

Güte ist auf uns´rer Seite.

Und mit ihrem Klang am Ostertag bekräftigen 

Glocken uns Hilfe aus den Himmeln.

Christ ist erstanden! Wir sind nicht allein,

Er ist mit uns … Wahr ist es: Er ist erstanden!

 

#вірші_війни

Надія світла не згасає

У час, коли лютує зло.

Нас Сам Господь благословляє,

На боці нашому добро.

І дзвони твЕрдять Великодні

Нам про підтримку із Небес.

Христос Воскрес! Ми не самотні,

Він з нами... Воістину Воскрес!

   (Аня Куцин) 24.4.22

 

Aus einem Dorf in der Westukraine schildert Tetyana Woloschina (Sawtschuk), junge Mutter eines Kleinkindes, ihre Überzeugung und Stimmung am Ostersonntag. Vielleicht erinnert Ihr Euch noch an ihr Gedicht "Plagiat", das ich Euch vor einem guten Jahr hier vorstellte? Ihre feine, lichtdurchdrungene, symbolkräftige Sprache kann ich im Deutschen nur ansatzweise wiedergeben, wenn ich in der Übertragung eine Gedichtform beibehalten will.

So schwingt beispielsweise in den Zeilen, in denen sie von den blauen Augen ihres kleinen Sohnes schreibt, das ukrainische Volkslied "Oчі сині" mit, in dem in genialen Wortspielen die Rede von den leuchtend blauen Augen des Sohnes und Bräutigams ist. Dieser weilt als Soldat in der Ferne im Krieg, weshalb seine ihm anvertraute Braut Qualen der Einsamkeit durchleidet.

Ich lieb den Ostersonntag in der Ukraine

In meinem erblühenden Heimatland,

Wo des Sohnes tiefblaue Äuglein mir wundersam

Die Gänseblümchen zuzwinkern.

 

Hier ist der Klang der Kirchenglocke wie der Horizont 

Hier trinken die Kuppeln der Kirche den Himmel,

Weit und breit ist hier durch und durch Güte.

Zur Wallfahrt strömt das gläubige Volk.

 

Dazu im Dorf erklingt “Erstanden …” -

Am Fest freut sich die Kinderschar.

Ob über weite Steppe oder Hain

singen das Loblied Vögelein.

 

Und so erfreulich … warmer Klang …

Das Paradies, streck ich die Hände danach aus!

Ich lieb den Ostertag und Gottes Wort,

den Frühling und mein liebes Land!

 

Tetyana Woloshina (Sawtschuk)

 

 

 

24.4.22

Люблю Великдень в Україні,

В моїй квітучій стороні, 

Де маргариток очі сині

Чомусь підморгують мені. 


Тут — дзвін церковний аж за обрій, 

Тут  бані храму небо п'ють,

Тут геть спрацьований та добрий 

На прощу йде церковний люд. 


А ще селом "воскрес..." лунає —

Радіють святу дітлахи. 

Чи то над степом, чи над гаєм 

Тропар наспівують птахи. 


І так відрадно... малино'во...

Ось рай — лиш руку простягну. 

Люблю Великдень, Боже Слово, 

Мою Вкраїну і весну!


Тетяна Волошина  (Савчук)  #поезіяТетянаВолошина

 

"Du hast die Eier mit Blut gefärbt" - auch dieser Aufschrei der Dichterin Olena Bogutska findet Niederschlag in einem ihrer Gedichte. Darin benennt sie schmerzvoll, wie der Feind das hohe Fest durch seine Kriegsgräuel umwidmet und verzerrt.

Ich habe für Euch indessen von ihr ein anderes Gedicht zum Osterfest übersetzt, das nicht minder nachdenklich ist.

Dazu möchte ich allerdings noch erläutern, dass in der ukrainischen Kultur das Verzieren von Ostereiern eine sehr hohe Kunst ist, die sogar einen sakralen Charakter hat. Spricht man im Ukrainischen vom Bemalen der Ostereier, so wird dabei der selbe Wortstamm verwendet, der auch im Ausdruck für die Heilige Schrift enthalten ist. Man "beschreibt" die Ostereier dort, während wir Deutschen sie nur bemalen. Während Ihr hier in meinem Artikel Fotos vom Osterbrunnen in Marktleuthen seht, könnt Ihr ergänzend im Netz zu den Stichworten "Ukraine Ostereier" zahlreiche Fotos kunstvoller ukrainischer Ostereier finden. Sehr häufig werden beim Schreiben der Ostereier außer traditionellen Mustern auch kirchliche Symbole verwendet.

 

Zum folgenden Gedicht ließ die Poetin sich durch ein Foto im Internet inspirieren, auf dem Ostereier in Blau-Gelb mit dem Trisub, dem ukrainischen Staatswappen, verziert sind, das die kyrillischen Buchstaben des ukrainischen Ausdrucks für "Freiheit" vereinigt.

 

Foto: Blau-Gelbe Schleifen an einem Marktleuthener Gartenzaun. Die Welt drückt ihreAnteilnahme in Blau-Gelb aus.

 

Der allmächtige Gott blickt zu uns aus der Höhe,

zur unüberwindbaren Ukraine.

Die Welt ist in blau-gelbe Farben gekleidet

unterstützt so das einige Heimatland.


Lebendig klang Ostern mit seinen Glocken,

als ob vor Erstaunen Kanonen schwiegen.

In Gelb und in Blau malt´ - ergraut schon - die Mutter

Die Ostereier dem lieben Sohn.


Des Ostereis österlich tiefe Symbole, 

sie fassen das unendliche Sein der Welt,

als Amulett flogen sie zu dem Kämpfer,

als greifbar gewordener Herzensgruß.


Der Frühling, er lächelte freundlich im Grünen

Die Kirschbäume flehten im Schaumschwanenweiß.

Für den Moment war der Krieg fast vergessen.

Erstanden ist Christus, die Ukraine wird leben!

 

Бог всемогутній дивиться згори

на нашу нездоланну Україну.

А світ в жовто-блакитні кольори

вдягався, щоб підтримати родину.


Гудів Великдень дзвонами шпаркий,

що аж замовкли з подиву гармати.

І жовтим і блакитним писанки

писала для синочка сива мати.


Ці символи пасхального яйця,

що безкінечне існування світу,

летіли оберегом для бійця,

матеріальним проявом привіту.


Зеленим усміхалася весна,

і вишні лебеділи білопінно ...

На мить якусь забулася війна.

Христос воскрес. Все буде Україна!

Експромт 24.4.22

надихнуло це фото

Олена Богуцька

 

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