Angela Kushchyk, Tag des Sieges. März 2022
Vor wenigen Tagen sah ich ein Foto von ihr und ihrer Tochter. Beide im Schacht eines U-Bahnhofs in Kyjiv, in Schlafsäcken auf einer notdürftigen Unterlage, unendlich müde. Die begnadete Künstlerin Angela Kushchyk wurde bei ihrem Besuch in der Heimat vom Krieg überrascht. Ich liebe ihre Bilder. Durch den beruflich bedingten Aufenthalt ihres Mannes in Addis Abeba hat sie in den letzten Jahren viele Kunstwerke geschaffen, die Menschen und Situationen dort mit scharfem Auge einfangen und eindrücklich und liebenswert wiedergeben. Sie hat ein unbeschreibliches Feingefühl für Lebensbedingungen. Und, wie viele ukrainische Künstler die Gabe, sehr flink auf Lebenslagen adäquat zu reagieren.
Heute morgen also finde ich dieses Gemäde von ihr auf Facebook, dem sie in drei Sprachen den Titel "Tag des Sieges" gibt. Wunderbar, wie die ukrainische Nationalflagge da auf der Festung weht! Der "Tag des Sieges" ist in der ehemaligen Sowjetunion ein großer Feiertag, besonders in Russland. Am 9. Mai begeht man ja das, worauf Russland meint, noch stolz sein zu können, die Befreiung Europas vom Faschismus, die einzige Ideologie, über die Russland sich vielleicht (!) noch definieren kann. Eine Ideologie der Vergangenheit, die in den heutigen Tagen umso zynischer wirkt, wo die hässliche Missgeburt aus KGB und Mafia in ihrem souveränen Nachbarland angeblichen Faschismus mit faschistischer Gewalt aggressiv vertreibt.
"Moment mal," kommt es mir beim genaueren Hinsehen, "Chotyn kann das nicht sein, auf welcher ukrainischen Festung könnte zu Ehren des Sieges die blau-gelbe Fahne wehen?" Leider habe ich in der Ukraine eher Kirchen und Klöster besucht, so gebe ich zu, dass ich mir die Kommentare unter dem Gemälde erst genauer ansehen muss, um es herauszufinden:
"Unsere Flagge steht dem Kreml sehr gut. Man kann sagen, sie inspiriert ihn regelrecht." schreibt eine der Freundinnen. Eine weitere überlegt: "Dafür steht aber der Kreml unserer Flagge überhaupt nicht. Eigentlich müsste er in Trümmern liegen." Und jemand meint: "Angela, hast Du nicht darüber nachgedacht, eine Flamme statt unserer Flagge draufzusetzen?" Hier antwortet die Künstlerin selber, und zwar, obwohl sie sich auf FB sonst allermeist auf Ukrainisch äußert, in russischer Sprache: "Ich werde drüber nachdenken .. aber es ist doch einfach schon genügend Schmerz und Grausamkeit da ... und das dann noch zu malen ... mir fällt das schwer ... obwohl natürlich alles möglich ist ..." Und dann fügt sie in weiterem Kommentar hinzu: "Ich muss hier in Kyjiv so sehr auf mein seelisches Gleichgewicht acht geben. Wenn ich die rote Linie übertrete, so gibt es möglicherweise keinen Weg mehr zurück.“
Ich wünsche mir so sehr, dass der Tag eines solchen Sieges schon bald herankommt! Ich bewundere diese Ukrainer so sehr, die trotz all der sinnlosen Gewalt, die ihnen von Russland angetan wird, sich darum bemühen, sich nicht von Hass hinreißen zu lassen und Gewalt zu vermeiden, wo es irgend geht.
Oh Gott, schütze Du diese wunderbaren Menschen!
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